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November 1802

Es geschah...

Dunningen: Am 25. November 1802, einem Donnerstag, so berichtet der Dunninger Chronist Karl Schneider, besucht ein Abgesandter des württembergischen Herzogs Friedrich die bis dato zur Landschaft der freien Reichsstadt Rottweil gehörende Gemeinde, um die Besitzergreifung des Dorfes durch Württemberg zu verkünden. Zugleich werden auch die Wappen und die Patente des neuen Landesherrn öffentlich angeschlagen.

Der Dunninger Obrigkeit, dem Stabsvogt Xaver Bihler und dem Schultheiß Martin Rottler, werden im Namen Friedrichs die Handgelübde abgenommen. Damit und mit der am 4. August 1803 erfolgten Huldigung vor dem württembergischen Landoberamtmann Burkard endet die Zugehörigkeit des Dorfes Dunningen zur Reichsstadt Rottweil nach 368 Jahren. Ähnliche Amtshandlungen dürften auch in den anderen 24 zur Herrschaft der Reichsstadt gehörenden Ortschaften wie Seedorf, Winzeln oder Deißlingen, das neben Dunningen (880 Einwohner) das bevölkerungsreichste Untertanendorf war, vorgenommen worden sein. Natürlich wollte sich die neue Obrigkeit gleich der Gunst der neuen Untertanen versichern u.a. mit dem Versprechen, dass die Dörfler künftig die gleichen Rechte wie die Stadtbewohner inne hätten und es könne von "Unterwürfigkeit gegen die Stadt nie mehr die Rede sein".

Begreiflicherweise fand diese Erklärung den ungeteilten Beifall der dörflichen Obrigkeit, hatte man doch unter der reichsstädtischen Herrschaft ziemliche Lasten zu tragen und Zwänge zu erleiden gehabt. Auch die anderen Quellen, die der Dunninger Historiker Edwin Ernst Weber in einer Studie über diese Zeit für das Dunninger Jahrbuch 2002 zitiert, zeigen, dass die Württemberger gewillt waren, den neuen Untertanen günstigere Perspektiven zu bieten. So wies das herzogliche Kabinett die Organisationskommission ausdrücklich darauf hin, bei der verwaltungsmäßigen Neueinteilung im neuen Staatsgebiet auf eine strikte Trennung zwischen Stadt und Land zu achten, da dies das einzige Mittel sei, "die Landbewohner ganz vom städtischen Joch zu befreien". Zunächst wird deshalb ein Stadtoberamt mit Rottweil und neun stadtnahen Dör-fern und ein Landoberamt mit 16 ehemaligen rottweilischen Dörfern, darunter auch Seedorf und Dunningen, eingerichtet. Als dann 1806 das nochmals erweiterte Königreich Württemberg entstand, wurden die beiden Verwaltungseinheiten zum Oberamt Rottweil zusammengeführt. Seedorf allerdings wird 1812 dem Oberamt Oberndorf zugeteilt und kommt erst 1938 wieder zu Rottweil.

Weber geht auch der Frage nach, ob der Herrschaftswechsel konkrete Auswirkungen auf das Leben und den Alltag der Menschen in Dunningen und Seedorf hatte. War es tatsächlich ein Übergang von der städtischen Knechtschaft in die württembergische Freiheit? Er meint, dass die Ressourcen der Landschaft in dreifacher Form "zum Nachteil der bäuerlichen Untertanen" an die Stadt und deren Bürger geleitet wurden: durch die Feudalabgaben, wobei die Zehntabgaben allein etwa 15% der bäuerlichen Ernteerträge abschöpften. Die Zehntherrschaft allerdings besteht weiterhin bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Des Weiteren hatten die Dörfer eine gewaltige Last durch die Steuer- und Militärforderungen von Reich und Schwäbischem Kreis zu tragen. Diese Abgaben wurden nahezu allein von den Rottweiler Landgebieten getragen, während die Stadtbürger kaum einen Beitrag dazu leisten mussten. Zum Dritten hatten die bäuerlichen Untertanen unter dem rigoros gehandhabten Markt- und Handwerkerzwang zu leiden. Die Überschüsse aus der landwirtschaftlichen Produktion durften nur in Rottweil auf den Markt gebracht und Aufträge durften nur an Rottweiler Zunfthandwerker vergeben werden. Als Folge dieser Herrschaft der Rottweiler Zunftbürgerschaft konnte sich in den Dörfern kein eigenständiges Gewerbe entwickeln. Gerade 5 Handwerker durften in Dunningen ihrer Profession nachgehen, in Seedorf nur 4. Erst unter dem Königreich Württemberg konnten sich auch in Dunningen und Seedorf gewerbliche Betriebe entfalten, die dann auch den Taglöhnern Verdienstmöglichkeiten eröffneten.

Dies ist die eine Seite der Medaille. Es gab aber durch die Einverleibung nach Württemberg auch Einbußen und andere Belastungen. Das Königreich Württemberg war, wie Weber betont, ein "absolutistisch regierter, straff verwalteter Einheitsstaat, der den Bürger vom politischen Leben ausschloss". Die gemeindliche Selbstverwaltung wurde einge-schränkt. Der dörfliche Schultheiß wurde zum "Gewährsmann" der Obrigkeit. Erst 1819 werden der Bevölkerung bescheidene Mitwirkungsrechte eingeräumt. Eine recht einschneidende Veränderung gab es durch die Wehrpflicht, die nun die ledigen "Purschen" zu absolvieren hatten. Sie war auf sechs Jahre bei der Infanterie und auf 8 Jahre bei der Kavallerie festgeschrieben. 1803 wurden 80 junge Männer aus Dunningen ausgehoben und gemustert, 5 davon ausgelost und zur Infanterie eingezogen. An den napoleonischen Kriegen bis 1815 nahmen also auch Soldaten aus den beiden Dörfern teil. Eine Verschlechterung gab es unter der württembergischen Herrschaft auch hinsichtlich der freien und unbeschränkten Nutzung der Wälder. Sie wurde drastisch eingeschränkt, die freie Pürsch gänzlich aufgehoben.

Erwähnenswert ist sicher auch noch, dass die württembergischen Kirchenbehörden Bräuche der Volksfrömmigkeit wie das Läuten der Kirchenglocken bei Gewittern, die Abhaltung nächtlicher Gottesdienste und das Auslaufen in auswärtige Wallfahrtsorte verbot.

Weber meint abschließend, dass der Herrschaftswechsel vor 200 Jahren das dörfliche Leben und den bäuerlichen Alttag nur wenig veränderte. Die "polarisierte Dorfgemeinschaft", ein Drittel wohlhabende Bauern, die auch politisch das Sagen hatten, zwei Drittel bettelarme Taglöhner, blieb zunächst bestehen. Auch auf die Sitten und die Gebräuche des Dorfes hatte der Herrschaftswechsel keine erkennbaren Auswirkungen, aber er war doch ein "Aufbruch in eine neue Zeit". Nach und nach wurden in den kommenden Jahrzehnten die feudalen, die genossenschaftlichen und zünftigen Bindungen und Hemmnisse beseitigt, ein "Horizont größere Freiheit" tat sich auf.

Julius Wilbs